Das war also der von mir so heiß erwartete Roman "Wing Commander: False Colors" – letzten Montag habe ich die Lektüre abgeschlossen. Die Bewertung des Romans fällt mir dieses Mal denkbar schwer: Natürlich kann ich "FC" jedem empfehlen, der mit der Romanserie bisher gut unterhalten wurde, und wer sich für die militärische, politische sowie gesellschaftliche Situation der Konföderation sowie ihrer Grenzkolonien interessiert, kommt kaum daran vorbei.
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Dennoch fällt meine Kritik diesmal härter aus als sonst, denn die Dramaturgie dieses Romans weist Schwächen auf. Das Problem ist, dass "False Colors" offenbar ursprünglich der erste Teil einer zwischen WC3 und 4 angesiedelten Romanserie sein sollte, die man jedoch nicht fortgesetzt hat. Als Auftakt einer solchen denkbaren Trilogie macht der Roman sehr viel richtig, da es allerdings keine Fortsetzung gibt, muss er als eigenständiges Werk beurteilt werden. Um dies weiter auszuführen, muss ich schlicht Teile der Handlung preisgeben und warne entsprechend vor Spoilern:
[spoiler:2i2k1l19]Ende 2670: Der Krieg mit den Kilrathi ist beendet. Die Konföderation hat mit der Zerstörung Kilrahs den Sieg errungen, und die Kilrathi haben unter Melek, dem jetzigen Interims-Anführer, kapituliert. Allzu schnell wird ein großer Teil der terranischen Flotte eingemottet oder stillgelegt - die Konföderationsregierung will nach 35 Jahren Krieg endlich ihre ersehnte Friedensdividende kassieren - und die besten Offiziere bangen bei halbem Sold um ihre Zukunft. Commodore a. D. Jason Bondarevsky, aus den Vorgängerromanen wohlbekannt, hofft auf einen neuen Dienstposten in den Randkolonien der "Freien Republik Landreich". Auch Admiral Tolwyn schließt sich ihm an, da dessen Zukunft in den konföderierten Streikräften nach dem Behemoth-Desaster auf der Kippe steht. Ein kompletter Neuanfang also. Im Landreich treffen die beiden Veteranen auf alte Bekannte aus Kriegszeiten, und es erwartet sie gleich eine große Operation: Das Wrack eines schweren Kilrathi-Trägers wurde entdeckt und soll für die Marine des Landreichs geborgen sowie flugtauglich gemacht werden. In den Randkolonien ist derweil kein Frieden eingekehrt, denn ein Kriegsfürst der Kilrathi aus der dem Landreich angrenzenden Region möchte sich zum neuen Herrscher über alle Kilrathi ausrufen und sammelt scharenweise versprengte Untergebene um sich, die den Friedensvertrag ablehnen. Er plant eine Invasion der Landreich-Systeme, um seinen Machtbereich zu erweiteren sowie, mit dem nötigen Ruhm ausgestattet, das Erbe des Imperiums anzutreten. Der schwere Träger soll die Flotte des Landreichs verstärken, um einer solchen Bedrohung gewachsen zu sein. Der Plan der Menschen geht auf: Das Schiff kann in wochenlanger Schwerstarbeit wieder halbwegs in Betrieb genommen werden. Die Lage verschlimmert sich, als herauskommt, dass der Kriegsfürst einen Dreadnought des Imperiums in seine Gewalt bekommen hat. Der Auftrag lautet, mit dem erbeuteten Träger einen Überfall auf die feindliche Raumwerft vorzunehmen und das dort vor Anker liegende Ungetüm auszuschalten, sodass die drohende Invasion vereitelt wird. Adm. Tolwyn soll das Kommando über den gestrandeten Träger erhalten, Bondarevsky soll dessen Geschwaderführer werden. Geflogen werden natürlich die vorhandenen Kilrathi-Jäger. Intrigen und Verschwörungen innerhalb der Terraner gefährden das Projekt, denn irgendetwas ist hier faul.[/spoiler:2i2k1l19]
Dass in „False Colors“ keine weitere Schlacht um die Erde oder eine ähnlich große Kriegskampagne im Vordergrund stehen würde, war natürlich von Anfang an klar. Der Krieg ist schließlich vorbei, das Imperium kollabiert, und die Randwelten des Landreichs versprechen höchstens einen örtlich begrenzten Nebenkonflikt. Da auch Admiral Tolwyn eine wichtige Rolle im Roman spielt, hofft man als Leser natürlich, mehr über seinen Wandel vom einstigen Helden der Konföderation zu einem paranoiden Faschisten in WC4 zu erfahren. Ist diese Entwicklung bereits abgeschlossen, oder findet sie hier etwa ihren Anfang? Wieso hilft Tolwyn erneut den Grenzkolonien, wo er sie doch schon drei Jahre später mit Biowaffen und Krieg überziehen will? Verfolgt er eigene Pläne, und falls ja, welche?
Natürlich spielen in FC auch politische Intrigen eine Rolle, und das mehr denn je. Machtverschiebungen werden allmählich deutlich, neue Bedrohungen kündigen sich an, und weitreichende Verschwörungen bilden den Hintergrund, vor dem sich der vergleichsweise simple Hauptplot um den Träger abspielt, der natürlich mit der Intrige irgendwie in Verbindung zu stehen scheint.
Hier jedoch liegt der Hase im Pfeffer: Nach ungefähr drei Vierteln des Romans wird einem plötzlich klar, dass man lediglich den Auftakt einer weitaus größeren Geschichte verfolgt, die in einem Buch allein überhaupt nicht zu erzählen ist. Wie bei einem Schachspiel werden hier die Figuren auf ihre Positionen gerückt, die ersten Schläge ausgetauscht, während die tatsächliche Strategie aller Spieler noch weitgehend undeutlich bleibt. In dieser Metapher nimmt Admiral Tolwyn scheinbar die Funktion eines weißen Springers ein, obwohl man längst (mit Kenntnis von WC4) annehmen muss, dass er wohl eher der König der schwarzen Seite ist. Doch genug vom Schach; der Roman lässt sich unglaublich viel Zeit, bevor das scheinbare Finale mit klassischer Weltraumaction in Fahrt gerät. Dies ist natürlich wie immer spannend erzählt und teilweise wird es sehr wohl auch tragisch, doch nimmt dieser Teil relativ wenig Umfang in Anspruch. Als sich nach über 400 Seiten die (vermeintlichen) Hauptkontrahenten endlich gegenüberstehen, wird man leider etwas enttäuscht. Die Narration stoppt quasi, die große Schlacht wird vorerst abgeblasen, das Kapitel ist beendet, und die Erzählung erst im sicheren Heimathafen fortgesetzt. Dennoch, eigentlich möchte man am Ende das Buch befriedigt zuklappen und ausrufen: „Das geht schon mal gut los, mehr davon!“, doch nach fünfzehn Jahren ohne Fortsetztung gibt es da leider keinen Grund für Optimismus. Ein interessanter Prolog für eine noch interessantere Geschichte wurde hier abgeliefert, und dieser hängt nun wohl für immer frei in der Luft.
Völlig im Dunkeln über die Vorgänge bleibt man freilich nicht: Ein Teil der Verschwörung wird dem Leser in den 470 Seiten des Buches sehr wohl offenbart. Es gärt innerhalb der Konföderation. Eine Verschwörerclique plant eine Machtübernahme des Militärs, und das Mittel dazu ist ein neuer Krieg. Klingt wie eine Vorwegnahme der WC4-Handlung, doch die Sache ist hier noch wesentlich komplizierter. Tolwyn arbeitet nämlich augenscheinlich klar gegen diesen Geheimplan, hat dafür aber etwas viel Größeres im Sinn. Völlig klare Sache, mag man sich denken, aber man merkt deutlich, dass die Autoren hier nicht den direktesten Weg für Tolwyn im Sinn hatten. Leider werden wir es wohl nie mehr erfahren.
Aber auch die vermeintliche Gegenseite, die Kilrathi, kommen in FC sehr wohl zu ihrem Recht. Als jemand, der sich schon immer für die vom Autor Forstchen maßgeblich mitentwickelte Kultur der Kilrathi sehr interessiert hat, habe ich mit Spannung verfolgt, was mit dem einstigen Imperium nach der Zerstörung Kilrahs geschehen ist. Hier kommt man sehr wohl auf seine Kosten, denn Friedensengel sind die Katzen in ihrer Gesamtheit keineswegs geworden. Dass nicht alle Kilrathi den vermeintlichen „Appeaser“ Melek als ihren Anführer akzeptieren würden, war zu erwarten. Konkurrenz, mögliche Erbfolgekriege – all das wird im Roman glücklicherweise behandelt, kommt am Ende aber leider viel zu kurz. Wie gern hätte ich mehr darüber erfahren!
Wie gesagt, eine abschließende Bewertung fällt mir äußerst schwer. Sowohl als Fortsetzung von WC3 wie auch als Anknüpfung an „Die Geheimflotte“ („Fleet Action“) macht FC eigentlich alles richtig. Fast alle bekannten Figuren aus Forstchens Romanreihe tauchen – sofern noch am Leben – wieder auf. Die Nachkriegszeit mit ihren Auswirkungen auf das Leben von Berufssoldaten erwacht zum leben und wird sehr glaubwürdig geschildert. Dieser Auftakt einer Nachkriegs-Romanreihe im Wing Commander-Universum kann als durchaus gelungen bezeichnet werden, denn man möchte sofort wissen, wie es weitergeht, auch wenn die Ereignisse von WC4 längst bekannt sind. Ein großes Lob spreche ich den Autoren auch dafür aus, die Kilrathi nach der Vernichtung Kilrahs als Bedrohung nicht einfach aufgegeben zu haben, da mich dieser Zug in WC4 doch sehr enttäuscht hatte.
Mein weinendes Auge blickt jedoch auf die unabänderliche Tatsache, dass die einmal möglicherweise geplante Geschichte niemals geschrieben bzw. verlegt werden wird. Und hier überwiegt nun einmal die bittere Enttäuschung, die ich dem Roman selbst zwar nicht unmittelbar vorwerfen kann, die aber letzlich doch auf ihn zurückfällt. Zumindest, was die mögliche Empfehlung desselben betrifft.
Entsprechend rate ich: Des Englischen mächtige Sammler und WC-Romanfans, die sich „False Colors“ zu einem Preis von weniger als 10 Euro anschaffen können, sollten zuschlagen. Als de facto bloßes Fragment einer größeren Story um das Landreich, die Kilrathi und Admiral Tolwyn ist er für alle anderen WC-Fans aber kein Pflichtkauf. Abseits der politischen Verschwörungen und Schachzüge kann die vordergründige Handlung um die Inbesitznahme eines verlassenen Kilrathi-Trägers sowie seines ersten Kampfeinsatzes doch nur bedingt unterhalten. Nach einem vielversprechenden Anfang verliert der Roman bei diesem Plot viel zu sehr an Tempo, und es geschieht schlicht zu wenig in der Erzählzeit von immerhin 300 Seiten, bevor endlich etwas Bewegung in die Sache kommt. Während man eigentlich brennend darauf wartet, mehr über die vielen Hintergründe zu erfahren, wird man am Ende nur mit etwas vordergründigem Krachbumm abgespeist, das darüber hinaus doch recht vorhersehbar war. Eine große Chance wurde hier leider vertan.
Ansonsten fällt auf, dass die Entwickler und Autoren von WC Saga viele Kleinigkeiten aus „False Colors“ übernommen haben bzw. davon inspiriert wurden. Einige Schiffs- und Jägerklassen von FC fanden jedenfalls Einzug in das Saga-Arsenal - besonders bei den Kilrathi. So wurde ein im Roman auftauchender Geleitträger der Kilrathi namens KIS Dubav zum Pate einer ganzen Klasse leichter Träger gemacht. Auch wird Sagas ECM-Version der Vaktoth (Zartoth) dort zum ersten Mal offiziell erwähnt. Große Trägerschiffe tauchen hier nicht auf, wenn man mal von der Karga absieht. William Forstchen bleibt auch hier wieder seinen eigens erdichteten Geleitträgern der Wake-Klasse treu, die ja auch hervorragend in das Arsenal der Randkolonien passen. Das zentrale Schiff der Story, die ehemalige KIS Karga, wird zwar als Bhantkara-Klasse bezeichnet, jedoch mit zwei Flugdecks anders beschrieben als die Schiffe dieses Typs, die wir aus WC3 und WCS kennen.
Endlos diskutieren könnte man freilich (erneut) über die tatsächliche Länge des Kilrathi-Dreadnaughts, die auch in FC mit m.E. unsinnigen 22 km Länge angegeben wird. Ja, so steht es im „Victory Streak“ zu lesen, keine Frage, aber das roch schon immer stark nach einem Missgeschick des damaligen Lektoriats. Oft werden die 22 km aufgrund der Nennung im Buch nunmehr als bestätigt angesehen, aber eine zweifelhafte Quelle wird nicht dadurch validiert, dass ein Autor sich nachträglich an ihr orientiert hat. Da es aber ohnehin einige Diskrepanzen zwischen den Romanen und dem ansonsten ausgezeichneten WC3-Handbuch gibt, sollte man die Sache aber auch nicht überbewerten.
Fazit: Lesenswert, aber nicht um/zu jedem Preis. Sollte es eine Fortsetzung geben, bin ich sofort dabei. Dann gerne auch wieder auf Englisch, wenn sich kein deutschsprachiger Verleger finden sollte. Ansonsten bleibt "False Colors" leider ein Roman mit eingebauter Ernüchterung.
"Ich würde immer eine Maschine bevorzugen, die um einen schweren Jäger Kreise fliegen kann, wenn es sein muss.“ Alec "Ninja" Crisologo, Wing Commander Saga