Rezension Teil 1
Damit wären wir etwa bei der Hälfte des Romans angelangt. Schnell wird klar, dass dieser Verlauf der Ereignisse ein wenig von der Chronologie des WC3-Handbuchs „Victory Streak“ abweicht. Dort erklärt die Konföderation den Kilrathi nach dem Abschuss eines zivilen Schiffes den Krieg, während hier nur von einer begrenzten Militäraktion die Rede ist. Der kommende Großangriff auf den Stützpunkt von McAuliffe ist zwar verbürgt, doch weicht der Roman auch hier in zahlreichen Details vom Victory Streak ab. Der Roman lässt den Krieg erst mit der Großoffensive gegen die Basis ausbrechen und wertet die historische Parallele zum japanischen Angriff auf den Flottenstützpunkt Pearl Harbor damit noch einmal gewaltig auf. Allerdings lassen sich diese Abweichungen verschmerzen.
Bisher ist alles sehr spannend geschildert, wobei der Autor die Perspektive zwischen Menschen und Kilrathi immer wieder wechselt. Erneut stellt Forstchen, wie bereits schon zuvor in „Die Geheimflotte“, die konföderierten Politiker als eine Gruppe von naiven Ignoranten dar, deren Karriere ihnen stets wichtiger ist als die Sicherheit der Bevölkerung. Sie stellen die Warnungen der Militärs als Hirngespinste dar und legen ihnen immer wieder Steine in den Weg. So treffen wir hier auf einen Senator, der durch sein stures Veto, die längst notwendige Modernisierung der konföderierten Flotte aus rein wirtschaftlichen Gründen blockiert, sofern die Investitionen eben nicht seinem Planeten zugute kommen. Mit ihren Handlungen stellen sie sich immer wieder gegen die Streitkräfte, sodass man fast den Eindruck bekommt, sie stünden auf der Gehaltsliste der Kilrathi. Andererseits sind die Kilrathi mit ihrer Desinformationstaktik äußerst geschickt, und nach 100 Jahren Frieden darf man zumindest in dieser Ära den Politikern eine gewisse Naivität zubilligen. Dass sie die Warnungen ihres Militärgeheindienstes dennoch derart ignorieren, ist freilich höchst fahrlässig.
Als Folge des langen Friedens steht die terranische Flotte allenfalls auf dem Papier gut da: Zwar macht die Ausrüstungsstärke einen überzeugenden Eindruck, aber das Material ist teilweise hoffnungslos veraltet. Von über dreißig Jahren alten Jägern und Bombern ist hier bisweilen die Rede, doch darf dabei auch nicht vergessen werden, dass 2634 in Punkto Raumkampftaktik noch ganz andere Richtlinien gelten: Trägerschiffe und deren Jägergeschwader gelten hier auf beiden Seiten als nachgeordnete Unterstützungseinheiten für die wahren Schlachtschiffe und Kreuzer. Die alteingesessene Admiralität beider Seiten hält von Trägern nebst Jägern noch relativ wenig und zieht die historisch bewährte Feuerkraft sowie starke Panzerung allen neumodischen Spinnereien vor.
Wie immer vollzieht Forstchen, und Wing Commander generell, die historische Parallele zum See- und Lufkrieg des Zweiten Weltkriegs gegen Japan. Während damals Flugzeugträger und Trägerflugzeuge die schwer gepanzerten Kriegsschiffe allmählich auf den zweiten Rang verwiesen, womit sich ein militärischer Paradigmenwechsel vollzog, so erleben wir in „Die Bedrohung“ eine Neuauflage dieses Zeitenwandels im 27. Jahrhundert. Der Autor ist clever genug, daraus keine allzu simple Wiederholung der Geschichte zu konstruieren, sondern beruft sich auf Konventionen der ersten beiden WC-Spiele. Die Phasen-Schutzschilde der Großkampfschiffe sind demnach so stark, dass Jäger und Bomber diese allenfalls mit konzentriertem Dauerfeuer durchdringen können, während sie selbst vom Flagfeuer zerstört würden. Nur starke Schiffsgeschütze können Kriegsschiffen ernsthaft gefährlich werden. Die Kilrathi wollen bei ihrem Angriff auf die Basis McAuliffe diese taktische Schwäche erstmals durch eine brandneue Waffe aushebeln, nämlich mit einem Flugkörper, der einen Phasenschild durchdringen kann. Der Vorläufer des klassischen Torpedos wird also zum Wegbereiter einer Marinekampftaktik, die in WC zwanzig Jahre später selbstverständlich ist.
Die neuen Torpedos sollen den Kilrathi ermöglichen, die durch einen schweren Schild geschütze McAuliffe-Basis einzunehmen. Die Parallele zum Angriff auf Pearl Harbor drängt sich hier wieder auf, denn auch die Japaner rüsteten ihre Torpedos damals speziell für diesen Angriff nach. Übertreibt es Forstchen mit seinen Parallelen hier vielleicht ein wenig? Ein bisschen schon, finde ich. Musste man denn einem kritischen Kilrathi allen Ernstes die Allegorie vom „schlafenden Riesen“ in den Mund legen, den der Angriff auf die Menschen wecken könnte - eine Aussage, die die Popkultur bis heute dem japanischen Admiral Yamaoto vor seinem Angriff auf die USA (fälschlicherweise) zuschreibt? Hier treibt es Forstchen wirklich etwas zu weit, doch vielleicht sollten wir es der Vermittlungsinstanz des fiktiven Militärhistorikers zuschreiben, der immerhin für ein Publikum des 27. Jahrhunderts schreibt.
Auf der Figurenseite ist die Angelegenheit schnell klar. Wer die früheren Romane kennt, trifft hier einige wichtige Charaktere in ihren jungen Jahren wieder. Da wäre zuerst natürlich Geoffrey Tolwyn selbst. Ein 21-jähriger britischer Bengel aus reicher, adliger Familie, der einmal Kampfpilot werden möchte. Ein vorlauter Kommentar gegenüber einem militärfeindlichen Senator vor laufender Kamera beendet praktisch seine zukünftige Karriere, weshalb er von Admiral Banbridge für die geheime Mission ausgewählt wird. Zwanzig Jahre später wird er schon selbst Admiral sein und zum besten Freund und Vertrauten Banbridges werden. Logischerweise ist er eine der Hauptfiguren des Romans, und er verdient sich hier seine ersten Sporen, doch dazu später mehr.
Lieutenant Vance Richards ist ein junger Kampfpilot und ebenfalls ehemaliger Absolvent der Akademie der Konföderation. Er wird später einmal zum Chef des Nachrichtendienstes der Flotte aufsteigen und im Roman „Die Geheimflotte“ noch eine wichtige Rolle spielen.
Und da wäre natürlich noch Hans Kruger (oder Krüger), der in den chronologisch später angesiedelten Romanen Maximilian Kruger genannt wird, was wohl sein zweiter Vorname ist. Krüger kommt aus den Randkolonien des Landreich-Sektors und wird später einmal die „Freie Republik Landreich“ ausrufen, deren Präsident er wird. In diesem Roman ist auch er 21 Jahre alt, doch als Kolonial-Privateer bereits mit allen Wassern gewaschen. Forstchen führt hier alte Figuren zusammen, um gewisse Beziehungen zu klären, die diese dreißig Jahre später zueinander haben. Er baut auch ziemlich deutlich auf den Wiedererkennungseffekt, womit klar sein dürfte, dass dieser Roman eindeutig für Kenner der früheren Werke konzipiert ist.
Interessant sind vor allem die Szenen, die auf der Schmugglerbasis der Kilrathi stattfinden. Hier zeigt sich sich, dass Schmuggler, Zuhälter, Schwarzmarkthändler und Freibeuter schon längst Kontakt mit den Kilrathi unterhalten. Die Kilrathi dort sind natürlich ausgestoßene, Kriminelle oder Entehrte, doch es herrscht durchaus freier Handel. Zu schade, dass diese Episode ein zu schnelles Ende fand. Noch interessanter sind natürlich die Szenen aufseiten der Kilrathi. Bekannte Figuren wie Thrakhath oder Jukaga sind zu dieser Zeit noch Kinder oder halbe Jugendliche. Hier machen noch deren Väter Politik, wobei der alte Imperator die einzige Konstante darstellt. Die Clan-Konflikte, die wir aus früheren Erzählungen nur zu gut kennen, setzen sich hier fort, wobei die Rollen klar verteilt sind: Der Imperator drängt auf den baldigen Krieg mit den Menschen. Sein Sohn, Kronprinz Gilkarg, ist als Oberbefehlshaber der Streitkräfte dessen rechte Hand und soll den Angriff persönlich anführen. Zum ersten Mal will er die Trägerschiffe zur Hauptwaffe des Angriffs machen, was ihn von allen Seiten Kritik einbringt.
Die "Opposition" kommt natürlich, wie kann es auch anders sein, aus den Reihen des intellektuellen Ki’ra-Clans in Person von Baron Vakka, dem Vater des jungen Jukaga. Seltsamerweise verzichtet der Autor dieses Mal komplett auf alle etablierten Clan-Namen, doch erneut wird die besondere Stellung von Vakka herausgestellt: Der Baron warnt vor einem Angriff auf die Menschen, da er sie als einziger näher studiert hat, ja sogar Bekanntschaften mit ihnen unterhält. In gewisser Hinsicht stellt er hier das Gegenstück zu Admiral Banbridge dar. Beide warnen jeweils vor der Unterschätzung des Gegners. Der Eine möchte die ignoranten Friedenssüchtigen auf seiner Seite bekehren, der Andere die blindwütigen Kriegstreiber auf seiner. Beide werden letztlich scheitern, ihre Lehren aber an ihre (geistigen) Nachkommen weitergeben. Doch die werden sich fortan im Krieg gegenüberstehen.
Die Randkolonien des Landreichs dürfen natürlich nicht fehlen. Schon immer waren diese weitab gelegenen terranischen Welten an der äußersten Grenze der Konföderation das Steckenpferd von Forstchen. Auch wenn deren Unabhängigkeitserklärung und Republikgründung noch lange nicht erfolgt ist, pochen sie hier bereits auf Autonomie und haben sogar einen eigenen (nicht anerkannten) Präsidenten ernannt. Allerdings bricht Forstchen eklatant mit seinen früheren Romanen, wenn er die Landreich-Bewohner plötzlich als Ausländer bezeichnet, die nicht die konföderierte Staatsbürgerschaft besitzen, und die deshalb bei der Aufnahme in die Flottenakademie der Erde diskriminiert werden. Das widerspricht allen früheren Büchern, die das Landreich als Zusammenschluss widerspenstiger Seperatisten schildern, die die konföderierte Autorität (aus durchaus nachvollziehbaren Gründen) ablehnen. Wenn die Konföderation diese Menschen jedoch Jahrzehnte zuvor selbst als Ausländer bezeichnet und ihnen keine Bürgerrechte zugesteht, kann sie deren Unabhängigkeitbestrebungen nun wirklich nicht verurteilen. Die spätere Sezession wäre kein illegaler Akt, sondern auch nach heutigem Völkerrecht vollkommen legitim. Sollte die Konföderation die Landreich-Welten also wie entrechtete Kolonien behandeln, denen man nicht einmal eine Form der politischen Selbstbestimmung zubilligt, wäre sie ein Unrechtsstaat erster Güte! Ich will nicht völlig ausschließen, dass die deutsche Übersetzung hierfür Verantwortlich ist, doch falls ja, könnte der Schaden nicht größer sein. Oder präsentiert uns der Militärhistoriker und fiktive Autor hier etwa eine Verfälschung der Verhältnisse?
Wie bereits erwähnt, stört die geschilderte unsägliche Gutgläubigkeit und Faktenresistenz der konföderierten Politiker in „Die Bedrohung“ unsäglich und wirkt in ihrer Übertriebenheit fast schon absurd. Was im Roman „Die Geheimflotte“ immerhin noch nachvollziehbar schien, da sich die Menschheit dort nach über 30 Jahren Krieg an einen möglichen Frieden klammerte, wirkt hier teilweise bizarr. Und da drängen sich mir folgende Fragen auf: Wie kann es sein, dass die terranische Regierung die feindliche Einnahme von Fawcett’s World und die Versklavung seiner Siedler ignoriert oder, wie angedeutet, sogar vergisst? Da verschwinden auf einmal so viele Menschen, und niemand nimmt Anstoß daran, weil eben gerade Wahlkampf herrscht? Wie kann es sein, dass die konföderierte Regierung zwar Kontakte mit den von den Kilrathi unterworfenen Varni unterhält, sogar Flüchtlinge aufnimmt, aber die Kilrathi immer noch als unbedeutende Raummacht abtut? Wurden die Flüchtlinge denn nie über die militärische Stärke der Kilrathi befragt, zumal dieser Krieg schon viele Jahre zurückliegt? Wieso fragt auch niemand bei den Landreich-Kolonien nach, die über die Kilrathi beinahe mehr wissen als der Flottengeheimdienst auf der Erde? Da fällt eine angrenzende, nachweislich kriegerische Raummacht seit Jahren immer wieder durch unprovozierte Gewaltakte gegen Menschen auf, lehnt jede diplomatische Beziehung ab, und das Politbarometer der Konföderation tendiert bei den anstehenden Wahlen allen Ernstes zur sogenannten Friedenspartei, die das marode Militär noch weiter kaputtsparen will? Wo wir gerade dabei sind: Wenn die Konföderation also einen begrenzten Militärschlag - mit vorheriger Ankündigung, wohlgemerkt(!) -, gegen die Kilrathi durchführt, warum versetzt sie dann noch nicht mal ihre in unmittelbarer Nähe gelegenen Militärbasen in Alarmbereitschaft? Selbst ein tatsächlich drittklassiger Gegner kann schließlich einen Racheakt gegen hilflose Kolonien ausüben. Der Oberbefehlshaber der Raumflotte (Banbridge) muss sich hier jedoch von einem arroganten Senator wie ein dummer Schuljunge abkanzeln, beschimpfen und erpressen lassen. In den USA, an denen sich das politische System der Konföderation orientiert, werden hochrangige Militärs jedenfalls respektvoller behandelt, Vieraugengespräch hin oder her. Dass Politiker bei Forstchen erneut als korrupte Arschlöcher dargestellt werden, denen ohne eigene militärische Erfahrung sicherheitspolitisch nicht über den Weg zu trauen ist, lässt sich nicht mehr ignorieren. Da fragt man sich allmählich, ob hier nicht doch die persönliche Anschauung des Autors durchscheint, oder aber erneut der fiktive Militärautor karrikiert werden soll.
In „Die Bedrohung“ verhält sich die Konföderation jedenfalls sicherheitspolitisch über große Strecken derartig weltfremd, realitätsverweigernd und ignorant, dass fast die Glaubwürdigkeit darunter leidet. Tatsächlich handeln die Kilrathi hier als Einzige so, wie man es erwartet. Dass sie letztlich dabei sind, die Konföderation ebenfalls zu unterschätzen, ist eine interessante Parallele. Spannend und aufschlussreich sind hingegen wie immer die Schilderungen aus dem Imperium. Eine Militärmacht, die seit Jahrhunderten fast ausschließlich aggressiv expandiert, zwingend auf Sklavenarbeit angewiesen ist und über eine unzureichende Infrastruktur verfügt, steht früher oder später vor gewaltigen Problemen, wie Baron Vakka richtig erkannt hat. Die Führungselite, allen voran der Imperator und sein Sohn, wollen davon freilich nichts wissen. Der Baron hat des Weiteren längst begriffen, dass der Krieg vor allem dem Machterhalt des Herrscherclans dient und keineswegs die alternativlose Bestimmung seines Volkes ist, wie man ihnen immer weismachen will. Nach der Vernichtung Kilrahs, 35 Jahre später, wird Thrakhaths Vasall Melek genau diese Gedanken offen aussprechen und von „Korruption“ sowie „Sklaverei der Blutrünstigkeit“ reden. Zu Lebzeiten des Throns gelten derartige Äußerungen noch als verräterisch und eidbrüchig. Vakka kann also lediglich vor dem überstürzten Krieg gegen die Menschen warnen. Innerhalb der absolutistischen Monarchie des Imperiums sind die Möglichkeiten der politischen Opposition extrem beschränkt, vor allem, wenn man als potentieller Thronrivale gilt. Vakkas Befürchtungen werden sich indes bewahrheiten: Die Kilrathi werden mit dem Krieg gegen die Konföderation letztlich den Untergang ihres Imperiums einleiten und erst danach (möglicherweise) die Lehren aus einem kriegerischen Essentialismus ziehen, den ihre frühere Führung noch gezielt propagiert hatte. Es ist bittere Ironie, dass Geoffrey Tolwyn fast vierzig Jahre später selbst jenem Irrglauben verfallen wird. Durch Krieg und eine rassistische, gewaltsame Form der Bestenauslese wollte er in WCIV das Überleben der Menschheit nach Vorbild der Kilrathi sicherstellen. Im Gegensatz zum Imperator musste er seine Kriegspolitik jedoch demokratisch legitimieren lassen, was aber fehlschlug. Bezeichnenderweise wurde ihm diese Gesinnung selbst zum Verhängnis. Der späte Tolwyn ist gewissermaßen die ideologische Antithese zu Baron Vakka, auch wenn beide aus völlig unterschiedlichen Gesellschaften stammen. Nicht so zu werden wie sein Feind ist letzten Endes der Preis der Freiheit. Mit diesem Roman schließt sich also ein für beide Völker verhängnisvoller Kreis. Tolwyn und Baron Vakka nar Ki’ra (sowie später dessen Sohn Jukaga) sind dabei in jeder Hinsicht tragische Figuren.
Bei diesen Überlegungen will ich’s vorerst bewenden lassen. Fortsetzung folgt.
"Ich würde immer eine Maschine bevorzugen, die um einen schweren Jäger Kreise fliegen kann, wenn es sein muss.“ Alec "Ninja" Crisologo, Wing Commander Saga